Wie gelang es Hollywood das vedische Konzept von Maya neuzudefineren?
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meinem Buch „Die Matrix-Hypothese“, der darauf eingeht, wie die Matrix–Filme der Wachowskis das vedische Konzept der Maya in der Neuzeit etablierten und neu definierten. In beiden Prinzipien beschreiben die Begriffe ein virtuelles Konstrukt.
Wenn man die breite Masse der Bevölkerung heute mit dem Konzept eines virtuellen Konstruktes konfrontiert, dann wird die initiale Assoziation oft in Richtung der Matrix-Filme der Wachowskis gehen. Als der erste Teil 1999 in die Kinos kam, löste er ein mentales Erdbeben im kollektiven Bewusstsein aus. Oberflächlich betrachtet, wurde der Streifen primär als geniale Science-Fiction-Story mit revolutionärer Visualisierung und innovativen Kampfszenen wahrgenommen. Dennoch erkannten viele Kinobesucher, dass der Inhalt vollgestopft war mit Analogien und archetypischen Sinnbildern.
Es wurde recht schnell klar, dass sich hinter den opulenten Bildern eine tiefere Botschaft verbarg. Doch wie das mit Parabeln so üblich ist, werden diese immer im geistigen Spektrum des Rezipienten interpretiert. Es bleibt sogar fraglich, inwieweit die Schöpfer, Lana und Lily Wachowski, denen wiederum vorgeworfen wurde, nur von Sophia Stewart1 abgeschrieben zu haben, „unbewusst inspiriert“ wurden. Im späteren Verlauf des Buches werden Sie verstehen, dass es durchaus möglich ist, dass selbst die Autoren und Regisseure nicht immer klar erkennen können, woher alle Elemente ihrer Kreation kommen. Grob erklärt, geht diese Annahme auf psychologische Studien zurück, die zeigen, dass ein Großteil unserer Entscheidungen auf Prozessen im Unterbewusstsein beruht.2
Diverse Interpretationen der Matrix auf das reale Leben
Es wäre müßig, an dieser Stelle die vielfältigen Interpretationen der Matrix-Filme zu erläutern. Dazu existiert eine Vielzahl von populärwissenschaftlichen Publikationen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, nachdem der Hype ab 1999 Fahrt aufnahm. Ich möchte jedoch die allgemeine Ausdeutung im Kontext der „Trutherbewegung“ anreißen. Bevor ich das tun kann, muss ich die Grundstory der Matrix-Filme komprimiert zusammenfassen. Es mag noch einige wenige Leser geben, die sie nicht kennen. Die fundamentale rote Linie des ersten Teils lässt sich auf die Geschichte von Neo runterbrechen. Im Film ist er eine Person, die zwei Existenzen gleichzeitig lebt. Auf der einen Seite ist er ein typischer Lohnsklave – ein Angestellter einer großen Softwarefirma, der versucht nicht anzuecken, und in seinem alltäglichen Hamsterrad der modernen Gesellschaft rotiert. Im Privaten lebt er parallel dazu einen zweiten Persönlichkeitskern aus. Dort ist er ein notorischer Computerhacker, dem bewusst geworden ist, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Er sucht nach dem Geheimnis der Matrix – was sie ist und wie sie all die Anomalien, die er wahrnimmt, erklären könnte.
Ich könnte mir vorstellen, dass hier viele meiner Leser Parallelen zu sich selbst erkennen und es ihnen daher leichtfällt, die eigene Person in den Hauptprotagonisten hinein zu projizieren – insbesondere wenn sie dieses Buch in der Hand halten. Selbst als rein materialistisch denkender „Truther“ kann man in der fundamentalen Handlung ein Gleichnis zur weltlichen Realität ziehen. Vermutlich sind alle Wahrheitssucher an einem unbestimmten Zeitpunkt auf Phänomene gestoßen, die den Verdacht in ihnen erweckt haben, dass die Welt nicht so ist, wie sie oberflächlich scheint. Das lässt sich elegant in Bezug auf die Massenmedien oder die allgemeine Informationspolitik runterbrechen. Das Sinnbild der manipulativen Matrix ließe sich in der einfachsten Ausdeutungsform auch als Anspielung auf das Mainstream-Programm des Fernsehers interpretieren.
Die wahre Handlung im Film beginnt ab dem Moment, als Neo erfährt, dass die Matrix ein virtuelles Konstrukt ist, in dem er gefangen ist. Dabei wird er von einer Figur, die sich Morpheus3 nennt, befreit, doch dieser überlässt Neo die finale Entscheidung. Morpheus respektiert den freien Willen Neos und stellt ihn vor die Wahl: die rote oder die blaue Pille? In Platons Höhlengleichnis wäre Morpheus der ehemalige Insasse, der zurück in die Höhle geht, um andere Menschen aus dem geistigen Gefängnis zu befreien. So hat auch er initial Schwierigkeiten, Neo die Natur der Matrix zu erklären, weil das Konstrukt erst von Außen betrachtet verständlich wird. Weitestgehend so lautet die Grundstory – und weiter will ich vorerst nicht ausholen.
„Was ist real? Wie definierst du, was Realität ist? Wenn du von dem sprichst, was du fühlen, riechen, schmecken und sehen kannst, dann ist das Reale einfach nur ein elektrisches Signal, das von deinem Gehirn interpretiert wird.“
Morpheus
An dieser Stelle meiner Argumentation reicht es mir, aufzuzeigen, wie die Matrix-Filme dazu geführt haben, dass das Maya-Konzept der Veden eine Renaissance in der Neuzeit erlebt hat. Gleichzeitig möchte ich festhalten, dass beide Ansätze recht unterschiedlich ausgedeutet werden können. So wie sich heute verschiedene hinduistische Schulen um Ausdeutungsdetails streiten, so gibt es diverse mehr oder weniger metaphorische Interpretationen zur okkulten Botschaft der Matrixfilme – sofern man überhaupt eine hintergründige Botschaft vernehmen möchte.
Wie die Matrix von den „Truther“ verstanden wird
In der „Trutherszene“ wurde klar ein tieferer Kern wahrgenommen, aber dieser beschränkt sich zumeist auf eine materialistische Ausdeutung. Der Großteil der populären Interpretationen geht leider nur in eine weltliche Richtung und hinterfragt nicht die physische Realität. Ich könnte hier eine eigene Buchserie dazu schreiben, wie Analogien und Anspielungen der Matrix-Filme sich aus den unterschiedlichen Ebenen des Wahrnehmungsspektrums heraus interpretieren lassen. Es ist wahrlich ein faszinierendes und tiefgreifendes Thema. Im Rahmen dieses Buches werde ich immer wieder die Matrix als Sinnbild verwenden, aber zur tieferen Interpretation der Filmhandlung werde ich an dieser Stelle nur ein paar hilfreiche Hinweise geben, welche Deutungen auf YouTube ich für spannend erachte.4
Im Endeffekt ist die Welt, die sich im Matrix-Film außerhalb des virtuellen Konstruktes zeigt, eine fiktive Geschichte, die gewisse logische Schwachstellen hat. Beispielsweise werden die Köper der Menschen in sogenannten „Pods“ gehalten, um sie als „Batterien“ zu verwenden. Selbst eine Kartoffel wäre für diesen Zweck sinnvoller gewesen. Diese Erklärung war nicht in der Ur-Fassung des Drehbuchs, doch scheinbar suchte man nach einem simplen Motiv, um den durchschnittlichen Konsumenten nicht mit allzu abstrakten Konzepten zu überfordern. Die fiktive Realität außerhalb des Konstrukts, die sich in den Matrix-Filmen darstellt, ist im vedischen oder gar platonischen Sinne eher eine phantasievolle Perversion. Dennoch geht es mir darum, exakt aufzuzeigen, woher das allgemeine kollektive Bewusstsein seine Vorstellungen eines virtuellen Konstruktes bezieht. Das impliziert das Verständnis, warum die meisten Menschen die antike spirituelle Idee einer Maya als ein reines Science-Fiction-Konzept verkennen – dementsprechend die Philosophie wenig Chancen hat, ernsthaft hinterfragt zu werden.
„Welt am Draht“ als Vorläufer
Bei genauer Betrachtung wird zudem klar, dass die Matrix-Filme nicht die einzige Inspiration bieten, die alltägliche Realität in ihrer Wahrhaftigkeit zu hinterfragen. Klassiker wie „Inception“, „Dark City“ oder „Waking Life“ spielen grundsätzlich mit der gleichen Thematik. Der deutsche Vorläufer zur Matrix-Quadrologie nennt sich nebenbei bemerkt „Welt am Draht“ und basiert auf dem Roman „Simulacron3“ von Daniel F. Galouye5 aus dem Jahr 1964. Die filmische Umsetzung erfolge 1973 in zwei Teilen unter der Regie von Reiner Werner Fassbinder. 1999, im Erscheinungsjahr des ersten Matrix-Films, folgte eine Neufassung mit dem Titel „The 13th Floor“.
All diese „Unterhaltungsfilme“ spielen weitestgehend auf Elemente an, die wir aus dem Konzept der Maya kennen, oder die sich mit fiktiven Vorläufern der Simulationshypothese beschäftigen. So sind all diese imaginären Geschichten von dualistischer Natur: Sie können uns animieren, dass wir dieser Idee eines virtuellen Konstruktes aufgeschlossen gegenüber werden, oder sie geben uns die Argumentationen, dass es „verrückt“ wäre, die phantasievollen Auswüchse der Unterhaltungsindustrie in die Realwelt zu projizieren. Die Wahl liegt wie immer beim Rezipienten.
Zusammenfassung der Matrix-Konzepte
Zusammenfassend gilt es festzustellen, dass das Konzept eines virtuellen Konstruktes sich durch die Geschichte der Philosophie zieht. Obwohl sich am Ende der Materialismus durchgesetzt hat, so erlebte die idealistische Weltanschauung in den letzten Jahrzehnten dennoch eine Wiedergeburt. Diese Renaissance erfolgte primär durch die Popkultur und durch das Genre „Science Fiction“. Die „Matrix“ wurde zu einem Meme, welches heute vielschichtig verwendet wird. In der alternativen Medienszene wird diese Begrifflichkeit fast schon inflationär genutzt, um die Systemlügen zu beschreiben, die durch die Mainstream-Medien in den Äther posaunt werden. Die Verwendung beginnt bei den täglichen Nachrichten, zieht sich durch die gesamte Unterhaltungsindustrie und endet bei den falschen Versprechungen, welche die Großkonzerne kolportieren, wenn sie uns überzeugen wollen, dass ihr neues Produkt „X-Y“ alle gesünder, attraktiver oder glücklicher machen wird. Zu dieser weitläufig postulierten „Matrix der Massenkontrolle“ gehören u.a. die Bildungsinstitute, die Politik und die Religionen.
So empfinden viele „Truther“ greifbare Assoziationen zur metaphorischen Ausdeutung der Matrixfilme, dass die Realität ein uns übergestülptes künstliches Konstrukt ist, wenn sie bspw. den Fernseher einschalten, oder durch die Innenstadt laufen, wo sie von Werbebannern förmlich erschlagen werden. Die Matrix beginnt für sie dort, wo sie das Spiegelmagazin aufschlagen oder Radio hören. Für die meisten „Truther“ ist die Kernaussage der Matrix-Filme eine Metapher für die vielfältigen Indoktrinierungstechniken. Die Matrix beschreibt damit jene Infrastruktur, die das übergeordnete System verwendet, um der dumpfen Masse seine Weltsicht einzuimpfen, mit der es die Menschheit scheinbar zu autoritätshörigen Konsumenten erziehen will.
Wenn der gemeine „Truther“ dagegen sein eigenes Habitat betritt und sich in seinen Garten setzt oder in die Natur hinauswandert, dann ist das für ihn „real“ – echt, im Sinne von nicht künstlich. Hier sucht er Zuflucht vor der Matrix, wie er sie versteht. Ich teile dieses Gefühl und kann diesen Gebrauch des Begriffes nachvollziehen, doch in letzter Konsequenz ist diese Definition eine reduktionistische Ausdeutung – eine rein materielle Interpretation.
Die Matrix als Analogie zur vedischen Maya
Die Matrix im Sinne der vedischen Maya ist dagegen allgegenwärtig. Es gibt nichts in der physischen Welt, was demnach nicht Teil des virtuellen Konstruktes ist. Dennoch existiert ein klarer qualitativer Unterschied, den der materialistische „Truther“ hier wahrnimmt. Dementsprechend gibt es jene „Felder“ in der Matrix, die durch das Kontrollsystem umfassend infiltriert wurden. Es sind Strukturen, die permanent versuchen, unseren Geist zu vereinnahmen. In der reinen Natur hingegen fühlen wir uns frei davon. Das ist durchaus nachvollziehbar, doch wird damit die Terminologie in ihrer ursprünglichen Bedeutung verzerrt, wie es die Veden vermitteln. Im Grunde ist es selbst eine Verwässerung der Idee aus dem Film, wo die Matrix ebenfalls allgegenwärtig ist und sich nicht nur auf einzelne Aspekte bezieht. In manchen Interpretationen wird sogar postuliert, dass selbst die „reale“ Welt, die im Film durch „Zion“ symbolisiert wird, nur eine weitere Ebene des virtuellen Konstruktes ist.6 Diese Theorie ist durchaus einleuchtend, aber ich wollte mich nicht in den Filminterpretationen verstricken. Ich möchte an dieser Stelle nur klar herausarbeiten, dass es im Spektrum der alternativen Narrative extrem unterschiedliche Ansätze gibt, was man meint, wenn man den Begriff „Matrix“ verwendet.
Mein eigenes Verständnis, was die Matrix wirklich ist, formte sich ebenfalls erst langsam im Laufe der Zeit, bis ich die Parallelen zur vedischen Philosophie erkannte. Demnach begann auch mein Prozess damit, dass ich in den assoziierten Filmen nur ein brillantes Science-Fiction-Konzept erkennen konnte, welches sich für mich als Novum präsentierte. Wie bei vielen anderen Kinogängern resonierte diese Idee tiefer in meinem Bewusstsein, aber es fehlte mir das nötige Wissen, um das antike Weltbild dahinter zu realisieren. Dennoch identifizierte auch ich recht früh die Parallelen zur Massenkontrolle, welche die meisten „Truther“ entdecken. Bedauerlicherweise lehrte mich die Schule – die ich 1999 gerade erst beendet hatte – nicht, die nötigen wissenschaftlichen Konzepte, die es braucht, um sich tiefer einem solchen Gedankenexperiment zu öffnen.
Nachtrag: Ich habe noch einen dezidierten Artikel zu den metaphorischen Analysen der Matrix-Filme geschrieben, der auch klassische Betrachtungsweise berücksichtigt.
- Sophia Stewart: Eine afro-amerikanische Autorin, die die Urheberschaft an den Filmen „Matrix“ und „Terminator“ für sich beansprucht. Stewart reichte Klagen ein, in denen sie behauptete, die Wachowskis und andere hätten ihre Arbeit plagiiert. Diese Klagen wurden jedoch gerichtlich abgewiesen. ↩︎
- Kahneman, D. (2011) „Thinking, Fast and Slow“ Farrar, Straus and Giroux. ↩︎
- Morpheus (mythologischer Archetyp): In der griechischen Mythologie ist Morpheus einer der Oneiroi oder Traumgötter, die für die Gestaltung der Träume verantwortlich sind. Morpheus wird oft als Bote des Schlafes dargestellt, der im Traum erscheint, um Botschaften zu überbringen. Der Archetyp des Morpheus hat Literatur, Kunst und Psychologie beeinflusst, insbesondere in Diskussionen über Träume und das Unterbewusstsein. Quelle: Griechische Mythologie und verschiedene literarische Werke, die sich auf Morpheus als mythologische Figur beziehen. ↩︎
- „Die okkulte Bedeutung von Matrix 4: Resurrection“ Quelle: https://youtu.be/kMGKs43AOpc
Broers, D. (2003) „Der Matrix Code“ Trinity Verlag. ↩︎ - „Simulacron3“ von Daniel F. Galouye: Ein Science-Fiction-Roman, der die Themen simulierte Realität und die Natur der Wahrnehmung erforscht. Das 1964 erstmals erschienene Buch hat das Cyberpunk-Genre beeinflusst und zu Diskussionen über die philosophischen Implikationen simulierter Welten beigetragen. Quelle: Galouye, D. F. (1964) “Simulacron3“ diverse Editionen und kritische Analysen ↩︎
- „Was Zion the Real World? – They never Left the Matrix!“ Von Jon Joe Quelle: https://youtu.be/HZ-3MgSuv8UFN ↩︎
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